In unserer kapitalistischen Gesellschaft sind Ungleichheiten tief verwurzelt, die sich in Klassenausbeutung, Sexismus und Rassismus zeigen.
Einleitung
Wir leben in einer Zeit, in der sich durch neoliberale Transformationsprozesse Lebensverhältnisse stetig verschlechtern. In unserer Gesellschaft gibt es zwei miteinander verbundene Systeme, die Menschen unterdrücken: den Kapitalismus und das Patriarchat. Diese Systeme beeinflussen alle Bereiche unseres Lebens durch hierarchische Geschlechterverhältnisse. [1]
Frauen haben oft begrenzten Zugang zu Ressourcen und Chancen und werden häufig in schlecht bezahlte Care-Arbeit gedrängt. Care-Arbeiterinnen aus dem Ausland betrachten ihre Arbeit trotzdem als Weg zur Emanzipation. Es steckt mehr dahinter, als es auf den ersten Blick scheint.
Nancy Fraser über Kapitalismus
Nancy Fraser ist eine US-amerikanische, feministische Politikwissenschaftlerin. In meiner Bachelorarbeit habe ich mich umgehend mit ihren Werken befasst. Sie beschäftigt sich überwiegend mit dem Verständnis von Kapitalismus und schafft einen Konsens hinsichtlich seiner Definition.
Fraser versteht unter Kapitalismus eine Gesellschaftsordnung, welche durch politische und gesellschaftliche Krisen definiert ist und auf der Ausbeutung von nicht-ökonomischen Aspekten wie Care-Arbeit beruht, aber gleichzeitig dazu neigt, sich selbst zu destabilisieren. [2]
Care-Arbeit ist grundlegend für unsere Gesellschaft. Sie umfasst alle Tätigkeiten, die notwendig sind, um die physischen, emotionalen und intellektuellen Kapazitäten für das Funktionieren der Welt aufrechtzuerhalten. [3] Die profitorientierte Ökonomie benötigt für ihr Überleben Support, der außerhalb des Marktes existiert. Dieses Konzept der ‚boundary struggles‘ beschreibt Phänomene, unter anderem Care-Arbeit, von denen Kapitalismus abhängig ist, diese werden aber gleichzeitig systematisch destabilisiert.
Ein weiterer ‚boundary struggle‘ ist der strukturell verankerte Rassismus. Dadurch, dass Kapitalismus als geschlechter- und farbenblind definiert wird, ist das Begriffsverständnis sehr eng und vergisst den inhärent strukturellen Rassismus [ES1] . Migrantische Frauen, die Care-Arbeit leisten, erleben eine Verschmelzung von Ausbeutung und Enteignung. [4]
Der Traum von Emanzipation
Der Eintritt der Frau in die Lohnarbeit wurde als Weg zur Emanzipation verkauft. Doch trotz der vermehrten Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt sind sie stärker von unsicheren Arbeitsbedingungen betroffen als Männer. [5] Nur weil die Frau in der Erwerbsarbeit ist, heißt das nicht, dass nicht weiterhin von ihr erwartet, wird Care-Arbeit zu leisten. [6]
Emanzipation ist eng mit Individualisierungsprozessen verbunden und hängt von Ressourcen wie Bildung und Einkommen ab. [7] Migrantinnen, die Care-Arbeit leisten, sind oft prekär beschäftigt und haben geringe Aufstiegschancen. Die Ermutigung zur Emanzipation durch Arbeit wird oft als kurzfristige Notlösung angesehen, die sich langfristig in unsichere Arbeit verwandelt.
In meiner Familie war das mit der Care-Arbeit auch so. Wir kommen aus Polen, und meine Tante sowie meine Oma sind für viele Jahre nach Deutschland gefahren, um ältere Leute zu betreuen, sogar dann noch, als meine Oma kaum mehr jünger war als ihre Patienten. Für meine Tante, die keine Berufserfahrung hatte, war das die einzige Möglichkeit, überhaupt einen Job zu bekommen. Sie waren dankbar für diese berufliche Möglichkeit, obwohl dies nicht ihre Wunschkarriere war. Meine Mutter, die vor 40 Jahren nach Österreich zog, begann ebenfalls in der Care-Branche, bevor sie später in ihren ausgebildeten Beruf wechselte. Es war für sie selbstverständlich, in diesen Arbeitsbereich einzusteigen, um sich zu integrieren und mit anderen österreichischen Frauen in Kontakt zu sein.
Hier wird eine Ungleichheit zwischen Theorie und Praxis deutlich: Viele Migrant:innen empfinden ihre Migration als Erfolg und sind stolz auf ihre Karriere. Diese Frauen sind der Meinung, sie hätten sich emanzipiert. Auch, dass sie nur in der Care-Arbeit Chancen für einen Aufstieg haben, scheint sie nicht immer zu stören. Dies widerspricht dem Ergebnis der Forschung, welches zeigt, dass die Inklusion im Arbeitsmarkt nicht die Benachteiligung von Frauen aufgehoben hat, sondern ganz im Gegenteil zu einer Hierarchisierung [ES2] [VR3] zwischen ihnen führt.
Die Wahrheit über Ausbeutung
Historisch gesehen hat die Trennung der Care-Arbeit die Unterordnung von Frauen in kapitalistische Normen verstärkt.[8] Die unbezahlte Care-Arbeit bleibt im Hintergrund und wird oft von den am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen ausgeführt. Dies führt zu einer Verengung traditioneller Geschlechtermuster in diesem Bereich. Im neoliberalen Arbeitsmarkt bleibt sie eine der größten geschlechtsspezifischen Tätigkeiten, da spezifische Konzepte von Weiblichkeit damit verbunden sind.
Frauen aus reicheren Ländern wenden sich von schlecht bezahlten Care-Arbeitsstellen ab, während Migrantinnen diesen Bereich überwiegend besetzen. Sie werden als Arbeiterinnen benötigt, als Migrantinnen geduldet und als Frauen ermutigt, sich durch ihre Arbeit zu emanzipieren und sich den Werten des kapitalistisch weiterentwickelten Landes anzupassen. [9]
Frauen produzieren ihre eigene Unterdrückung mit, indem sie am Arbeitsmarkt für Emanzipation kämpfen, die oberflächlich ist. Wenn der allgemeine Konsens herrscht, dass Kapitalismus ein kriseninhärentes System ist, können Allianzen und Bewegungen entstehen, um Veränderung zu schaffen. [10] Care-Arbeit muss somit als Ort der Unterwerfung für Frauen verstanden werden.
Veröffentlicht in Zeitgenossin, ÖH Uni Wien
[1] Fraser, Nancy: Die Krise der Demokratie: Über politische Widersprüche des Finanzmarktkapitalismus jenseits des Politizismus, in: Ketterer, H./ Becker, K. (Hg.): Was stimmt nicht mit der Demokratie? Eine Debatte mit Klaus Dörre, Nancy Fraser, Stephan Lessenich und Hartmut Rosa, Berlin 2019, 77–99
[2] Fraser, Nancy: Cannibal Capitalism: How Our System Is Devouring Democracy, Care, and the Planet-and What We Can Do About It, Brooklyn NY, 2022
[3] Dowling, Emma: The Care Crisis: What Caused It and How Can We End It? Brookly NY, 2021
[4] Fraser, Nancy: Cannibal Capitalism: How Our System Is Devouring Democracy, Care, and the Planet-and What We Can Do About It, Brooklyn NY, 2022
[5] Schillinger, Sarah: Who cares?: Care-Arbeit im neoliberalen Geschlechterregime, in: Widerspruch: Beiträge zu sozialistischer Politik 29, (56) 2009, 93–106
[6] Bauer, Patricia: Care, Geschlecht und Herrschaftsverhältnisse – kritisch feministische Perspektiven, Universität Wien 2021
[7] Rommelspacher, Birgit: Hegemoniale Weiblichkeiten, in: U. Issop/ V. Ratkovic/ W. Wintersteiner (Hg.), Spielregeln der Gewalt: Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Friedens- und Geschlechterforschung, Bielefeld 2009, 171-184
[8] Fraser, Nancy: Contradictions of Capital and Care, in: New Left review 100 (2014), 99–117
[9] Farris, Sarah: In the Name of Women’s Rights: The Rise of Femonationalism, Durham, 2017
[10] Fraser, Nancy: Cannibal Capitalism: How Our System Is Devouring Democracy, Care, and the Planet-and What We Can Do About It, Brooklyn NY, 2022